von Rainer Molzahn
In den letzten beiden Beiträgen - Teil 1 und Teil 2 - habe ich die systemischen Komplexitäten exploriert, innerhalb derer Coach und Coachee in ihrer Zusammenarbeit navigieren müssen.
Diesmal soll die Frage sein: Wie sortiere ich mich im Angesicht all dessen in meiner Beziehungsaufnahme zum Coachee?
Genauer: Wie balanciere ich Rolle und Person in der Coaching-Beziehung?
Eins ist klar: Wir dürfen als Coach unsere Rolle nicht vergessen, und die des Coachees natürlich ebenso wenig – aus letzterer entsprang ja wahrscheinlich der Anlass unserer Zusammenarbeit, und auf sie muss das Ergebnis unserer Zusammenarbeit auch wieder wirken, wie auch immer. Nur von Person zu Person helfen zu wollen, ist rührend, aber weltfremd; im besseren Fall Stoff für ein Road-Movie. Aber nur Rolle zu Rolle, da erfriert man. Nur von Rolle zu Person ist unsympathisch, missbräuchlich und schändlich. Nur von Person zu Rolle dürfen nur Kleinkinder, Narren und Betrunkene.
Also: Wie viel und was und wann erzähle ich also von mir?
Von meinen Erfahrungen, meinen Gefühlen, meinen eigenen Beispielen des Gelingens und Misslingens, meinen eigenen Vorlieben und Bewertungen? Wie sehr oder wie wenig erlaube ich mir, als Person sichtbar und spürbar zu werden, oder, andersherum formuliert, wie viel meiner Person mute ich meinem Coachee zu? Wo und wie ziehe ich die Grenze, und wann?
Es fängt ja bei ganz einfachen Dingen an: Wie pünktlich fange ich an, wie pünktlich höre ich auf? Erlaube ich oder ermutige ich gar Kontakte zwischendurch, über Telefon, WhatsApp oder sonst was, und wenn, wie viel, und zu welchen Themen und Tageszeiten?
Und es geht bis hin dazu, den Coachee am eigenen Leben teilhaben zu lassen, intime Gefühle und Erlebnisse zu teilen, offene Konflikte und ungelöste Probleme – sich als Mitpatient des Lebens zu offenbaren.
Wie oben schon angedeutet, kann die Antwort und die Richtschnur hier nicht in entweder ‚gar nichts‘ oder ‚alles‘ bestehen. Es ist auch offensichtlich, dass, was auch immer ich sage, tue oder lasse, mein Coachee das im Ordner ‚Mein Coach hat gesagt‘ abspeichern wird – dass es für mich also kein Entrinnen aus der Rolle gibt.
Nicht zuletzt ist all dies aber auch eine Sache des persönlichen Stils, und uns den abzugewöhnen, liefe letztlich wieder auf eine Abschaffung all dessen hinaus, was uns als Mitmensch hilfreich macht. Abgesehen davon wäre es hoffnungslos. Also, nochmal: was zeigen ich von mir als Person?
Allein darüber kann man natürlich ganze Bücher schreiben, und vielleicht tun wir das ja mal. An dieser Stelle soll die Antwort sich auf diese zweieinhalb Faustregeln beschränken:
- Tu immer etwas mehr für deinen Klienten, als du in deiner Rolle musst. Aber nicht so viel, dass es die Integrität deiner Rolle korrumpiert und dich manipulierbar macht.
- Zeige mehr von dir als du in deiner Rolle unbedingt musst. Tue das aber zu einem Zeitpunkt und auf eine Weise, die deinem Klienten hilft, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und nicht mit dir.
- Sei dir, wenn irgendwie möglich, bewusst, welche Statussignale du damit aussendest.
Als Faustregel kann gelten: Viel von sich mitteilen = Niedrigstatus. Wenig oder nichts von sich mitteilen = Hochstatus.
Einfluss auf andere zu nehmen, braucht die richtige Mischung, und vor allem zum richtigen dramaturgischen Zeitpunkt. Immer nur von oben herab dozieren (=immer nur Rolle zu Person) geht ebenso wenig wie immer nur mit „Ich persönlich …“ intervenieren. Eine komplexe Fragestellung also, und eine, die nur auf der Basis einer Bewusstheit über die eigenen Statussignale gut zu beantworten ist. Das braucht viel Arbeit mit sich selbst.
Zwischenzeitlich und überwiegend aber gilt für uns als Coaches dieselbe Einladung, die wir auch unseren Coachees gegenüber aussprechen: Sei du selbst. Lasse dich – bei aller Rollenbewusstheit, die unersetzlich ist – in deiner Beziehungsaufnahme zum Coachee leiten von deiner Mitmenschlichkeit, deinem Interesse, deiner Empathie.
Sei auf diese Weise ein Modell für die Art von Beziehung, die für ihn oder sie in der Beziehungsaufnahme zu sich selbst hilfreich ist – besonders, wenn es darum geht, zu erkunden, zu verstehen und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Und das genau ist unser Job als Coach.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Buchreihe "Transformatives Coaching und Mentoring".
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